Gespräche über Gott, Geist und Geld by Sloterdijk Peter; Macho Thomas
Autor:Sloterdijk, Peter; Macho, Thomas
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Herder GmbH
veröffentlicht: 2013-12-31T16:00:00+00:00
PETER SLOTERDIJK: Zunächst würde ich noch gerne an das eben Gehörte einen Gedanken anschließen. Die parareligiöse Hoffnung, dass aus dieser riesenhaften Verschuldungsspirale, in der sich die Welt momentan bewegt, eine Befreiung erfolgen könnte, drückt sich heute in Form von zahlreichen neuen Apokalypsen aus.
Die apokalyptisch virulenteste Weltgegend ist im Augenblick zweifellos der Nahe Osten beziehungsweise die islamische Welt. Es gibt inzwischen eine breite Literatur über islamische Neoapokalyptik, die für Geisteswissenschaftler deshalb sehr faszinierend ist, weil die Analogien tatsächliche weltgeschichtliche Dimensionen berühren. Der Grundgedanke ist eigentlich immer dieser: Nur die Katastrophe kann uns noch retten.
Die Begriffe ›Gott‹ und ›uns‹ in dem berühmten Satz von Heidegger sollen uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Rettende auf dem Umweg über das Vernichtende erreicht wird. Die Rettung selber impliziert so etwas wie einen Durchgang durch einen Prüfungsengpass, durch den keineswegs alle als Gerettete hindurchgehen werden – man denke nur an die bankrotten Spanier und an die nun obdachlosen Hausbesitzer in den USA, die nicht mehr wissen, wie sie den nächsten Morgen erreichen. Die Überzeugung, dass die Katastrophe unsere beste Freundin ist und dass Gott eigentlich die Sprache der Katastrophe spricht, ist in sehr vielen Gemütern auch heute anwesend, und das sollte man nicht unterschätzen. Umgekehrt sollte man aber die Behauptung von der Wiederkehr des Religiösen auch nicht allzu fröhlich vor sich hertragen, denn das ist ein Spiel mit dem Feuer, und wenn es von sich aus schon so hochschlägt, dann soll man es nicht noch zusätzlich anfachen.
Ihre Frage betrifft die allgemeine Anthropologie, wenn man so will. Im letzten Jahrhundert sind zwei der bedeutendsten Aussprüche getätigt worden, die man braucht, um das seltsame Geschöpf ›Homo sapiens‹ adäquat zu beschreiben.
Erstens hat Max Scheler um 1920 den Begriff der ›Weltoffenheit‹ in den philosophischen Diskurs der Moderne eingeführt. Zweitens hat Wittgenstein zwischen 1940 und 1950 in seinen Notizbüchern den Satz notiert: »Man könnte beinahe sagen, der Mensch ist ein rituelles Tier.« Weltoffenheit ist also ein Merkmal der Conditio humana und Ritualität eine ursprüngliche, fast universale Antwort dieses weltoffenen Tieres auf seine eigene Weltoffenheit. Daraus stellt sich nun die Frage, wieso die Ritualität des Weltbezuges – und das ist ja die Quelle, aus der das Religiöse kommt – bei späten Menschen und in späten Kulturen sich so informalisieren konnte, dass man den Ritualcharakter von Ritualen meistens gar nicht mehr spürt. Das affiziert die sogenannte Religion sehr tief, denn wenn sie informalisiert ist, dann ist sie überall und nirgends, man kann sie dann eigentlich gar nicht mehr erkennen.
Diese Situation kommt heute meistens dann ans Licht, wenn irgendein Feuilletonist irgendeinen Gegenstand, den man bisher nicht als Religion erfasst hat, plötzlich als solche beschreibt. Vor einiger Zeit war im ›Spiegel‹ ein toller Aufsatz über Shopping als Religion zu lesen. Man liest das und sagt: »Okay, stimmt.« Und zwar weil der quasi ethnografische Blick des Verfassers tatsächlich neues Ritualverhalten entdeckt, woraus die sogenannten Religionen letztlich hervorgegangen sind.
MANFRED OSTEN: Wenn schon Shopping eine neue Religion ist, könnte man auch sagen, dass Coubertin etwas Ähnliches eingeführt hat: die athletische Religion. Wir hängen ihr heute ja allabendlich vor dem Fernsehgerät an.
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